Liebe Leser,
in meiner heutigen Kaffeepausen-Kolumne möchte ich mich der Wochenend-Ausgabe des Handelsblatts widmen: „DAX 10.000“, prangert groß auf dem Titelblatt, „Warum der Aufstieg der deutschen Standardwerte sich fortsetzen wird – ohne dass eine Spekulationsblase entsteht.“ Wow, denke ich, das ist mal eine Aussage. Das Handelsblatt hat rund um dieses Thema eine 9-seitige Artikelserie abgedruckt und auch stark unterbewertete DAX-Aktien vorgestellt.
Wie begründet der verantwortliche Redakteur Ulf Sommer sein DAX-Kursziel in Höhe von10.000 Punkten? Hierfür zitiere ich aus dem Text: „Mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von elf ist der DAX preiswert. Denn seit Berechnung des wichtigsten deutschen Börsenbarometers im Jahr 1988 bezahlten Anleger die Aktien durchschnittlich mit dem 15,5fachen Gewinn der Unternehmen. Um „fair“, also durchschnittlich bewertet zu sein, müsste der DAX heute eigentlich bei 10780 Punkten notieren – 40 Prozent höher als aktuell.“
Das ist eine klare These. Kann man so denken? Das KGV ist immer nur ein Indikator für eine Bewertung und ein Indikator, der nur in bestimmten Situationen Sinn macht. Wissenschaftlich und logisch korrekt ist der faire Wert eines Unternehmens der Gegenwartswert der zukünftigen Cashflows. Eine KGV-Bewertung für den DAX kann dann eine gute Indikation sein, wenn sich die Wirtschaft auf einem konstanten Wachstumspfad bewegt. Und das ist aus meiner Sicht der Fall und darum glaube ich, dass die Argumentation von Ulf Sommer in die richtige Richtung geht. Das hohe Wachstum in China, Indonesien, Indien und vielen anderen Schwellenländern wird sich fortsetzen. Davon werden deutsche Großkonzerne, die international sehr stark aufgestellt sind, profitieren. Es wird hier in der Presse kaum thematisiert, dass sich das Wachstum in China in absoluten Zahlen sogar weiter beschleunigt. Vermutlich im Jahr 2020 wird China die USA als größte Volkswirtschaft ablösen.
Das Handelsblatt stellt auch einige DAX-Aktien vor, die stark unterbewertet sind. Munich Re zum Beispiel wurde im langfristigen Mittel mit KGVs von 19,7 bewertet. Aktuell beträgt die KGV-Bewertung günstige 8. Das Handelsblatt führt diese Bewertung darauf zurück, dass seit Ausbruch der Immobilien- und Bankenkrise alle Finanztitel abgestraft wurden und dass Anleger Abschreibungen auf Staatsanleihen im Portfolio der Münchener Rück fürchten.
Soweit, so gut. Auf einen systematischen Fehler in der Argumentation des Handelsblatts möchte ich eingehen, der insbesondere beim Bewertungsszenario der Munich Re offensichtlich wird. Die Gewinne, die in die statistische Berechnung des KGVs mit einflossen, stammen teilweise aus Zeiten, in denen Inflation und damit die Nominalverzinsung deutlich höher war, insbesondere in den Märkten von Staatsanleihen. . Das führte zu einer höheren erwartenden Rendite und zu höheren Risikoprämien für die Aktienmärkte. Versicherer und Rückversicherer waren mit ihren Portfolios in einem 20jährigen Haussemarkt für Staatsanleihen investiert. Diesen Haussemarkt, der die Bewertung der Anlagevermögen nach oben treibt, gibt es nicht mehr Jetzt haben wir ein anderes makroökonomisches Umfeld. Darum glaube ich, dass die durchschnittlichen DAX-KGVs bei solch niedrigen Inflationsraten wie aktuell nicht mehr die Werte von vor 15 Jahren annehmen können. Als indikative Prognose in welche Richtung es mit höherer Wahrscheinlichkeit gehen könnte, halte ich den Handelsblatt-Bericht jedoch für sinnvoll.
Wie ist eure Meinung? Ist ein DAX-Stand von 10.000 Punkten realistisch?