Liebe Leser,
heute läuft über den DPA-AFX Ticker folgende Meldung: “Die Europäische Zentralbank (EZB) stemmt sich zunehmend gegen Forderungen nach einem massiven Kauf von Staatsanleihen. Stattdessen deutete die Notenbank im Kampf gegen die Schuldenkrise und die lahmende Konjunktur weitere Zinssenkungen an. EZB-Direktoriumsmitglied José Manuel González-Páramo bekräftigte am Donnerstagabend auf einer Veranstaltung der Universität Oxford: ‘Die EZB ist kein Kreditgeber der letzten Instanz für Staaten.’ Coene deutete eine weitere Zinssenkung an: Sollte die aktuelle Entwicklung anhalten, sei eine zusätzliche Senkung wahrscheinlich. Zuletzt hatte die EZB den Leitzins im Euro-Raum Anfang November von 1,5 Prozent auf 1,25 Prozent gesenkt.”
Mit dieser Einstellung führt uns die EZB direkt ins Verderben. Zinssenkungen helfen nichts mehr, wenn die Abwärtsspirale in Gang gesetzt wurde. Nur noch eine Rückkehr des Vertrauens in die Geschäftswelt, kann die Investitionen wiederbeleben. Und dieses Vertrauen wird nicht dadurch hergestellt, dass der Zinssatz um weitere 0,25% gesenkt wird. Dieses Vertrauen kann nur dadurch hergestellt werden, dass die Gefahr einer Staatsinsolvenz im Tisch ist. Darum muss die EZB jetzt ab einem gewissen Kurs die Geldseiten für Staatsanleihen garantieren. Dieses Erkenntnis finden wir ebenfalls bei Keynes:
Über den Konjunkturzyklus
Es wird Keynes oft nachgesagt, er hätte eine Theorie für eine spezielle Wirtschaftslage, die Rezession, entworfen. Das stimmt allerdings weder mit dem Anspruch des Briten, eine Theorie vorzulegen, die „die Menge der Beschäftigung zu jeder Zeit bestimmt“, noch mit dem Wirtschaftsbild überein, das sein Werk beinhaltet. Keynes führt den Konjunkturzyklus auf Schwankungen in der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals zurück. Dies sei der „wesentliche Charakter des Konjunkturzyklus“, durch den sich insbesondere auch die regelmäßige Zeitfolge und Dauer erklären ließen. Ähnlich wie Schumpeter bietet Keynes eine endogene Erklärung des Konjunkturverlaufs an. Das System erzeugt zunehmend stärkere Kräfte, die es zuerst nach oben treiben, dann aber an Stärke verlieren und letztendlich von Kräften ersetzt werden, die es nach unten ziehen. Dieser ständige Wechsel entgegen gesetzter Kräfte erzeugt den Zyklus. Die Wirkungsrichtung dieser Kräfte ist im Wesentlichen durch das Investitionsvolumen bestimmt und Keynes geht bei Betrachtung der Wirtschaftshistorie des 19. Jahrhunderts davon aus, dass „Schwankungen in der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals zyklische Merkmale gehabt haben müssen.”
Die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals ist der Diskontierungszinssatz, der den Kapitelwert einer Investition genau Null werden lässt. (“Genauer: ich definiere die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals als gleichwertig zu jenen Diskontsatz, der den gegenwärtigen Wert der Reihe von Jahresrenten, die aus dem Kapitalgut während seines Bestandes erwartet werden, genau gleich seinem Angebotspreis machen würde.”.) Sie verringert sich naturgemäß je mehr in ein Kapitalgut investiert wird, weil einerseits ein in großen Mengen produziertes Gut nur zu niedrigeren Preisen abgesetzt werden kann und anderseits, weil sich der Investitionspreis des Kapitalguts mit steigender Nachfrage verteuern wird. Unternehmen werden ihre Investitionen solange erhöhen bis die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals gleich dem Marktzinssatz geworden ist. Der Auslöser für die Krise ist allerdings nicht „primär eine Erhöhung des Zinssatzes, sondern ein plötzlicher Zusammenbruch der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals.“ Da sich die Konzeption der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals auf die voraussichtlichen Erträge des Kapitals stützt, hat eine Änderung der Erwartungshaltung seitens der Unternehmen große Auswirkungen auf die Bereitschaft neue Investitionen zu tätigen. Keynes betont, dass es falsch wäre, einen laufenden Ertrag auf die Zukunft zu extrapolieren. Das würde nur in einer statischen Ökonomie funktionieren. „Die Produktion mittels heute produzierter Ausrüstung wird…mit der Produktion späterer…mittels einer verbesserten Technik, erzeugter Ausrüstung konkurrieren müssen…“.
In der fortgeschrittenen Phase eines Wirtschaftsaufschwungs sind die Marktakteure generell optimistisch gestimmt. Die positive Einschätzung der zukünftigen Erträge ist stark genug, um negative Faktoren wie steigende Zinssätze oder steigende Produktionskosten, etwa wegen erhöhter Faktorpreise, auszugleichen. Irgendwann, wenn die Renditen aufgrund der Übersättigung des Marktes mit einem bestimmten Gut niedriger werden, wird die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals, vor allem in jenen Industriesektoren, die „zu der vorherigen Phase großer Neuinvestitionen beigetragen haben“, aus „Zweifel an der Zuverlässigkeit des voraussichtlichen Ertrages“ und genereller „Ungewissheit über die Zukunft“ zusammenbrechen. Die Angebotsseite der Ökonomie ist also letztendlich dafür verantwortlich, dass die aggregierte Nachfrage fällt, denn zusätzlich zur geringeren Investitionstätigkeit hat ein Abfallen der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals auch „die Tendenz, die Konsumneigung ungünstig zu beeinflussen.“ Auf dieser Ursachenanalyse des Konjunkturzyklus baut Keynes sein Argument auf, dass in rezessiven Phasen die Zinspolitik der Notenbanken oft wenig ausrichten kann. Vor allem der Einfluss der stark schwankenden Finanzmärkte signalisiert in Baissephasen eine so niedrige Ertragserwartung neuer Investitionsprojekte, dass „keine irgendwie durchführbare Senkung des Zinssatzes“ ein nennenswertes Investitionsvolumen auslösen kann. Nur durch eine „Rückkehr des Vertrauens“ in der Geschäftswelt kann die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals wiederbelebt werden. In einer solchen Phase der überwiegend pessimistischen Zukunftserwartungen ist deshalb nicht davon auszugehen, dass eine „laissez-faire“ Politik die Beschäftigung deutlich stimulieren kann. Keynes folgert, dass „die Aufgabe, den laufenden Umfang der Investitionen zu regeln, nicht ohne Gefahr in privaten Händen gelassen werden kann.“