Liebe Leser,
leider richtet meist erst die Geschichtsschreibung einen wissenschaftlichen und rationalen Blick auf die Ereignisse. Die letzte Sparpolitik in diesem Ausmaß wie sie derzeit in Europa auf den Weg gebracht wird, wurde 1930 von der Regierung um Reichskanzler Brüning auf dem Weg gebracht. Nach der ersten Welle der wirtschaftlichen Abkühlung 1930 setzte die deutsche Regierung damals auf eine massive Kürzung der Staatsausgaben, um das sich ständig vergrößernde Defizit einzudämmen. Um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen setzte Reichskanzler Brüning auf eine Deflationspolitik. Löhne und Gehälter wurden gesenkt mit dem Ziel die Nachfrage der Unternehmen nach Arbeit anzukurbeln. Von ihrem Höhepunkt im Jahr 1928 brach die Industrieproduktion in Deutschland von 84,3 Mrd. RM auf 38,0 Mrd. RM im Jahr 1932 ein, was einem gewaltigen Rückgang von 55 Prozent entspricht. In anderen Industriesektoren waren die Einbrüche sogar noch gewaltiger. Die Lastkraftwagenproduktion schrumpfte um kaum vorstellbare 76 Prozent. Im Februar 1932 waren in Deutschland über 6 Millionen Menschen arbeitslos.
Angela Merkel zwingt Europa auf einen ähnlichen Sparkurs. Die Frau ist Physikerin und hat demnach von wirtschaftlicher Theorie keine Ahnung. Sie geht in ihrem Wissenshorizont durchaus rational vor (Wer zu viel ausgibt, muss sparen), ignoriert dabei aber die Erkenntnisse der Ökonomie wie gesamtvolkswirtschaftliches Sparen aussehen muss, damit es keine depressiven Tendenzen gibt. Wenn die Preise für Güter, Dienstleistungen und insbesondere Löhne fallen (wie derzeit in Griechenland, Spanien, Portugal, …) stellt sich entgegen der klassischen Wirtschaftstheorie kein neues, stabilisierendes Gleichgewicht ein, sondern es entsteht eine Abwärtsspirale, die weitere Lohn- und Preissenkungen auslöst. Diese Erkenntnis ist die keynesianische Revolution! Wer sich heute wundert, dass John Maynard Keynes immer noch so häufig zitiert wird, dann liegt das nicht an seinem Vorschlag des “deficit spendings”, sondern an seiner allgemeinen Theorie über die Funktionsweise der Wirtschaft.
Die klassische Theorie unterstellt der Wirtschaft eine sich selbst regulierende Kraft, wenn Preise und Löhne flexibel sind. Im Falle hoher Unterbeschäftigung würden Arbeitslose den Unternehmen ihre Arbeitskraft zu günstigeren als den herrschenden Löhnen anbieten. Darauf hin können die Unternehmen ihre Fertigerzeugnisse günstiger verkaufen und würden somit eine höhere Nachfrage nach den Produkten schaffen. Dieser Wirkungsmechanismus enthält jedoch die versteckte Annahme, dass eine Kürzung der Nominallöhne keinen Einfluss auf die aggregierte Nachfrage entfaltet. Ein klassischer Ökonom würde zwar eingestehen, dass durch die Lohnkürzungen eine gewisse Minderung der Kaufkraft der Arbeiter eintritt, diese aber durch die höhere reale Nachfrage deranderen Faktoren, deren Grenzentlohnung gleich geblieben ist, kompensiert würde.
Das neue wirtschaftliche Gleichgewicht, nachdem die Nominallöhne gefallen sind, wäre außerdem durch eine höhere Beschäftigung gekennzeichnet. Keynes zeigt zuerst einige Fehler auf, die sich hinter dieser klassischen Beweisführung verstecken und hält dann sein eigenes Konzept entgegen. Eine Kürzung der Nominallöhne kann unter sonst gleichen Bedingungen die Beschäftigung im Allgemeinen nicht vermehren. Das wäre nur möglich, wenn die marginale Konsumneigung des Gemeinwesens gleich eins ist. In der Tat wird ein einzelner Unternehmer auf die gesunkenen Lohnkosten mit einer Ausweitung seiner Produktion reagieren, aber er wird von den tatsächlichen erzielten Erlösen enttäuscht sein und die Produktion wieder auf das frühere Niveau reduzieren. Ein Grund dafür ist, dass die ehemaligen Arbeitslosen, die durch das niedrigere Lohniveau in die Beschäftigung gekommen sind, nur einen Teil ihres verdienten Geldes ausgeben werden. Es klafft eine “Lücke zwischen dem Zuwachs des Einkommens und dem Zuwachs des Verbrauches”. Keynes analysiert noch ausführlich die Rückwirkungen niedriger Nominallöhne auf die Konsumneigung, die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals und den Zinssatz und kommt zu dem Ergebnis, “dass die Erhaltung eines stabilen allgemeinen Niveaus der Nominallöhne im Endergebnis aller Überlegungen die ratsamste Politik für ein geschlossenes System ist.”
Fazit: Mit ihrer Weigerung, die EZB an der Lösung der Staatsschuldenkrise zu beteiligen, lenkt Bundeskanzlerin Merkel die europäische Wirtschaft direkt in die Rezession. Die Geschichtsbücher werden ihr falsches Handeln entlarven.