Liebe Leser,
Inflation ist nach wie vor das liebste Sorgenkind der Deutschen. Wenn er seine Theorie der rationalen Erwartungen gerne falsifiziert hätte, müsste der Ökonom und Nobelpreisträger Robert E. Lucas nur mal einen Abstecher nach Deutschland machen, wo nahezu in jeder Zeitung Inflationsängste hochgehalten werden und der Immobilienmarkt aus Angst vor Geldentwertung neu erblüht. Der Theorie der rationalen Erwartungen zufolge müssten sich höhere Inflationserwartungen auch in höheren Nominallöhnen niederschlagen, so dass aus der Erwartungshaltung eine inflationäre Tendenz entsteht. Aber glücklicherweise orientiert sich die Inflationsrate viel eher an wirtschaftlichen Realitäten als an Erwartungen. Die Realität sieht so aus, dass halb Europa mittlerweile kaputtgespart wird. Jetzt ist auch Italien mit einem gefährlichen Schrumpfkurs an der Reihe. 80 Jahre Ökonomiegeschichte wurden einfach mal beiseite gewischt. Die große Errungenschaft von Keynes, wie volkswirtschaftliches Sparen funktionieren sollte, wird ignoriert als hätte es die Weltwirtschaftskrise in den 1930er Jahren nach finanzpolitischen Fastenkuren nie gegeben. Gesundes volkswirtschaftliches Sparen geht nur über ein Konstanthalten und eine Neuordnung der Ausgaben, den Rest müssen die Zeit und das nominale BIP-Wachstum regeln.
Es ist ein gefährliches Experiment, das seit gestern offiziell mit der Absegnung des Sparpaketes im italienischen Parlament beginnt. Wie schnell eine Verminderung der Staatsausgaben in die Rezession führt, hat Griechenland erlebt. Mit Italien wird die Rezession nun aber der achtgrößten Volkswirtschaft der Welt verordnet und weil der europäische Export zu 68% in andere EU-Länder geht, kann das zum Problem werden. Wenn Italien auf Negativwachstum umschwenkt, dann wird es auch für Frankreich und Deutschland kritisch. Zuletzt war meine Prognose, dass ein massives Anleiheaufkaufprogramm der EZB ein Inflationspotenzial von 3% bis 4% freisetzen würde. Ich revidiere dies nun. Das Anleiheaufkaufprogramm ist notwendig, um die Inflationsraten bei 2% zu halten und keine Deflation zu riskieren. Denn neben dem Schrumpfen der Bankbilanzen und den Multiplikatoreffekten des italienischen Sparpaketes, ist das EZB-Anleiheaufkaufprogramm ein Tropfen auf den heißen Stein. Zumal die Offenmarkt-Operationen der EZB kaum einen Transitions-Prozess in die Realwirtschaft auslösen werden.
Viele Grüße
Simon Betschinger