Liebe Leser,
ach wie gerne denke ich doch an die schöne alte Börsenzeit zurück als Kurse noch von Unternehmensnachrichten und Konjunkturdaten bewegt wurden. Gleichwohl muss ich dabei an Ernest Hemingway denken, der unseren Hang zur Nostalgie einfach zu entlarven wusste: “Das Merkwürdige an der Zukunft ist wohl die Vorstellung, dass man unsere Zeit einmal die gute alte Zeit nennen wird.” Aber dennoch: Ich kann mich an keine Börsenphase erinnern als Unternehmenszahlen derart in den Hintergrund rückten und die Ausschläge auf der Kurstafel derart von politischen Nachrichten dominiert waren wie heute.
Wenn ich die Zyklen der letzten zehn Jahre rückblickend betrachte, dann ist die Erosion des Vertrauens und des Zukunftsoptimismus anhand der Aktienbewertungen einfach ablesbar. Die große Baisse von 2001 bis 2003 war ganz eindeutig von schlechten Unternehmenszahlen getrieben, die blasenartige Überbewertungen wieder auf ein Mindestmaß der Vernunft zusammenschrumpfen ließen. Aber dennoch: Als der Aktienmarkt 2003 wieder zur Erholung ansetzte und der Glaube an eine bessere Zukunft zurückkehrte, waren 20er KGVs für wachstumsstarke Unternehmen noch die Regel und ich freute mich Wachstumsunternehmen mit 14er KGVs zu entdecken. 14 beträgt übrigens auch das durchschnittliche KGV, mit dem DAX-Unternehmen seit 1968 (zurückgerechnet) bewertet wurden.
Selbst nach den zahlreichen Reduktionen der Analystenprognosen für 2012 werden derzeit 20 von 30 DAX-Unternehmen mit einstelligen KGVs bewertet. In den Nebenwerte-Segmenten sieht es ähnlich aus. Durch alle Branchen hinweg, von IT-Dienstleistern, über Stahlunternehmen bis zu Maschinenbauern begegnen uns KGVs im Bereich von 8 und 9. Was sagt uns das? Das Börsenpublikum hat den Glauben an das Wirtschaftssystem verloren. Man geht nicht mehr davon aus, dass das System in den nächsten Jahren zu substanziellem Wachstum finden wird. Aber vermutlich ist ein heutige getätigtes Investment in den Aktienmarkt, das auf lange Sicht angelegt ist, zum heutigen Zeitpunkt risikofreier als jemals zuvor in den letzten zehn Jahren. Denn eine höheres Maß an Unsicherheit als aktuell nach der Finanzkrise 2008, die uns noch allen in den Knochen steckt und der momentanen Staatsschuldenkrise, kann im Aktienmarkt eigentlich kaum noch drinstecken.
Konsens KGV-Schätzungen für 2012 der 20 DAX-Unternehmen mit einstelligen KGVs:
Commerzbank: 3,9
Deutsche Bank: 5
Allianz 6,3
Münchener Rück: 6,6
RWE: 6,6
Daimler 6,7
Volkswagen: 7
Thyssenkrupp: 7,1
Deutsche Börse: 8,2
BMW: 8,3
Metro: 8,4
Deutsche Post: 8,7
Heidelbergcement: 8,7
BASF: 9
Bayer: 9,1
MAN: 9,3
Merkc: 9,5
E.ON: 9,8
Siemens 10
Viele Grüße
Simon Betschinger