Liebe Leser,
der ESFS ist Realität. Die einsamen Helden unter den Parlamentariern wie Wolfgang Bosbach, die sich noch trauen, dem kollektiven Wahnsinn zu widersprechen, werden als Europa-Gegner aufs Übelste diffamiert. Dabei wäre ein Europa, das ohne Rettungsschirme auskommt und auf wirtschaftliche Eigenverantwortung setzt, das vernünftigere. Jeder Kapitän weiß, dass große Segel bei Sturm eingeholt werden müssen, sonst brechen die Masten. Das ESFS kann nicht einfach wieder eingeholt werden, wenn die nächste Rezession zu einem ungünstigen Zeitpunkt kommt. 2010 betrug das Haushaltsdefizit im Euroraum -6% des BIP. Das deutsche Haushaltsdefizit lag bei 81,6 Mrd. € oder bei -3,3% des BIP. Und das in einer Wirtschaftsphase als der Aufschwung bereits kräftig war. Es ist nicht schwer abzusehen was passiert, wenn nächstes Jahr eine weitere heftige Rezession ausbrechen sollte, die Steuereinnahmen drastisch zurückgehen und Deutschland neben den eigenen Schulden noch für die Schulden anderer EU-Länder haften soll. Die Risiken, die der ESFS erzeugt, sind einfach zu groß. Eine Umschuldung Griechenland und eine anschließende Bankenrettung wäre deutlich günstiger gekommen.
Was sind die Voraussetzungen dafür, dass eine Stabilisierung der Eurozone durch den ESFS gelingt? Erstens brauchen wir Glück, dass uns die Weltwirtschaft, angetrieben von China, Indien und den USA wieder einmal aus dem Sumpf zieht. Die Binnenwirtschaft in Europa steckt mittendrin in der keynes‘schen Abwärtsspirale, bei der jede Sparmaßnahme weitere Entlassungen und Firmenkonkurse auslöst. Zweitens muss die EZB den Haushaltskonsolidierungskurs, sofern dieser glaubwürdig durchgeführt wird, beherzt unterstützen. Drittens, und das ist der schwierigste Punkt, müssen die Staatsführer in Italien, Spanien, Portugal und Griechenland ihrer Bevölkerung vermitteln, dass der Lebensstandard zukünftig deutlich niedriger sein wird als in den Jahren der Schuldenorgien. In Staaten, die nicht jährlich neue Schuldenmilliarden an den Finanzmärkten aufnehmen können, orientiert sich der Lebensstandard am Produktionspotenzial der Wirtschaft. Mir ist noch nicht so ganz klar wie den griechischen Gewerkschaftsbossen solche Fakten vermittelt werden sollen. Bislang waren Gewerkschaften nie bekannt dafür, einen realistischen Blick auf die Dinge zu werden.
Viele Grüße
Simon Betschinger