Liebe Leser,
die Lage ist ernst! Nicht alle haben das verstanden. Die Bilder von einer lachenden Angela Merkel nach dem EU-Staatsschuldengipfel gehen mir nicht aus dem Kopf. Der deutsche Steuerzahler wurde in einem historischen Beschluss nun endgültig haftbar gemacht für die Zahlungsausfälle anderer EU-Staaten. Es liegt auf der Hand, dass man danach nicht gut gelaunt eine Pressekonferenz geben und nicht davon schwärmen sollte wie viel Spass doch der Kanzlerberuf macht, um sich dann in den Urlaub zu verabschieden. Was ist los mit den Bürgern in diesem Land? Warum geht niemand auf die Straße und demonstriert?Wenn ich von einer Demonstration gegen die EU-Tranferunion wüsste, würde ich Plakate malen und mitlaufen.
Als Diplom-Volkswirt habe ich mich naturgemäß intensiv mit Konjunkturtheorie und Wirtschaftsgeschichte beschäftigt. Es gab schon so viele Wirtschafts- und Staatsschuldenkrisen, die anschließend von Wissenschaftlern ausgiebig analysiert wurden. Was mir Magenkrämpfe bereitet, ist die Nichtbeachtung dieses Wissens durch die Politik. Man tastet sich an die Materie heran als ob sich die Menschheit noch nie mit Wirtschaftskrisen beschäftigt hätte, neuerdings auch in den USA. Die Haushaltskonsolidierung über strikte Sparmaßnahmen führt direkt in die Rezession! Wenn die Arbeitslosigkeit hoch ist und die Geschäftslage trüb, dann führt eine Verringerung der Nachfrage zu neuen Firmenkonkursen und zu weiteren Arbeitslosen. Eine Abwärtsspirale wird in Gang gesetzt, die ihr Gleichgewicht erst bei deutlich niedrigeren BIP-Niveaus findet. Das alles ist in der Literatur – seit Keynes dieses Abwärtsspiralen-Prinzip wissenschaftlich formalisierte – ausführlich beschrieben.
Die Lösung des Staatsschuldenproblems kann nur über ein Konstanthalten der Staatshaushalten, verbunden mit einem geldpolitischen Boost erfolgen. Die EZB muss jetzt intervenieren, sie muss jetzt Anleihen von Spanien und Italien aufkaufen und sie muss dafür gemeinsam mit der EU-Komission harte Reformen der Haushalte verlangen. Entscheidend ist, dass das eingesparte Geld, zum Beispiel durch niedrigere Sozialausgaben und einen kleineren Staatssektor, sofort der privaten Wirtschaft zugeführt wird. Zum Beispiel über Steuersenkungen für die breite Mittelschicht. Nur so kann die Wirtschaft wachsen, nur so kann eine Entschuldung gelingen.
Viele Grüße
Simon Betschinger