Liebe Leser,
es treibt mir die Tränen in die Augen. Ob es Tränen des Amüsements oder der Traurigkeit sind, kann ich nicht eindeutig unterscheiden. EU-Politiker überschlagen sich im Eifer darin, Beschimpfungen für die Ratingagenturen zu finden. In Portugal wurde die jüngste Abstufung der eigenen Anleihen als Terrorismus bezeichnet. „Wir müssen den Einfluss von Rating-Agenturen begrenzen“, meint Finanzminister Schäuble. Gut gebellt, Herr Finanzminister, wollen Sie freie Meinungsäußerungen verbieten lassen, oder wie soll das funktionieren? Denn um nichts anderes handelt sich bei den Einschätzungen der Ratingagenturen. Kredit-Ratings spiegeln eine subjektive Meinung über die zukünftige Ausfallwahrscheinlichkeit eines Schuldners wider. Warum beachten so viel Investoren die Ratings von Standard & Poor‘s oder Moodys? Weil deren Einschätzungen in der Vergangenheit verdammt gut waren! Unternehmen, die von Standard & Poor‘s mit einem AAA Rating ausgezeichnet wurden, hatten in den 15 Jahren danach nur einen Zahlungsausfall in 1,09% aller Fälle. Bei einem BBB Rating betrug die Bankrotthäufigkeit 7,71%.
Standard & Poor‘s veröffentlich seit 1916 Einschätzungen zu Kredit-Ratings, um Investoren eine unabhängige Risikoeinschätzung zu bieten. Schon bald wurden diese Analysen von einer Vielzahl von Investoren bei der Entscheidungsfindung mit berücksichtigt. Auch im Falle von Griechenland lag „Standard & Poor‘s“ auf ganzer Linie richtig. Bereits 2004 wurde das Rating von Griechenland erstmals abgestuft. Während die Politik in der Europa-Vereinigungseuphorie schwelgte, machte S&P bereits auf die zunehmenden Ungleichgewichte in Griechenland aufmerksam. Hätte die EU-Komission 2004 bereits auf die Warnung der Ratingagenturen gehört und Griechenland schon damals zu Reformen aufgefordert, wäre dieses schlimme Schieflage gar nicht erst entstanden. Es ist klar was hier passiert. Politiker schieben die Schuld für das eigene Versagen auf private Agenturen. Hetztiraden gegen alles was mit Kapitalismus und Spekulation zu tun hat, kommen bei der Wählerschaft gut an. Jetzt überlegen wir uns aber an dieser Stelle, was passieren würde, wenn die Ratingagenturen Griechenland und Portugal – gegen jede Vernunft – eine positive Bonität bescheinigen würden. Politiker würden dann in drei Jahren Entschädigungszahlungen für Anleger fordern, die ihr Geld verloren haben.
Fazit für Politiker: Nicht auf die Ratingagenturen schimpfen, sondern lieber frühzeitig auf sie hören.
Viele Grüße
Simon Betschinger