Liebe Leser,
bei kaum einem anderen Thema gibt es so viele Verständnisschwierigkeiten wie bei den Staatsschulden. In meiner letzten Kolumne hatte ich ausgeführt, dass die Natur der Staatsschuld ein Verteilungsproblem ist. Es geht um die Frage wer sich zu welchem Zeitpunkt aus dem Produktionsapparat eines Landes bedienen darf. Als Produktionsapparat sind sämtliche Güter und Dienstleistungen zu verstehen, die in einem Land produziert werden können. Die Problematik der Staatsschuld lässt sich am einfachsten anhand des Beispiels Japan veranschaulichen, weil etwa 94 Prozent der japanischen Staatsanleihen von heimischen Investoren, also den Bürgern selbst gehalten werden und die Zinsen sich nahe dem Nullniveau bewegen.
Wer kauft die japanischen Staatsanleihen? Zwei Anlegergruppen lassen sich hervorheben. Ersten werden Staatsanleihen von reichen Bürgern gekauft, die einen Teil ihres Vermögens für die Zukunft konservieren wollen. Konservieren ist angesichts eines nahezu Nullzinses das richtige Wort. Ein Geldvermögen zu bewahren mag für konservative, reiche Menschen manchmal verlockender sein als es in Unternehmungen aufs Spiel zu setzen. Zweitens werden Staatsanleihen von Sparern zur Altersvorsorge gekauft. Ein 40jähriger verlagert seinen Konsum zum Beispiel von heute rund 30 Jahre in die Zukunft.
Wenn der japanische Staat Anleihen ausgibt, dann bedeutet das, dass die Staatslenker eine andere Konsumverteilung in der Gegenwart herbeiführen wollen als sie durch freie Märkte zustande kommen würde. Der heutige Konsum der Massen wird durch den Verzicht von Sparern und Reichen finanziert. Die Staatsverschuldung in Japan beträgt aktuell ungefähr das Zweifache der jährlichen Wirtschaftsleistung. Es liegt also ein Missverhältnis vor. Wenn die Besitzer japanischer Staatsanleihen irgendwann ihr Recht einfordern, sich aus dem wirtschaftlichen Produktionsapparat zu bedienen, dann besteht schlichtweg das Problem, dass deren Konsumwünsche von der wirtschaftlichen Leistungskraft nicht erfüllt werden können. Wie wird dieses Problem gelöst? Ganz einfach, erneut durch eine staatliche angeordnete Umverteilung, die von der demokratischen Mehrheit getragen wird. Irgendwann wird der japanische Staat die Anleihebesitzer teilweise enteignen, entweder über eine Inflationierung oder durch einen Schuldenschnitt.
Viel Erfolg wünscht
Simon Betschinger