Liebe Leser,
John Maynard Keynes hat mit seiner “General Theory” ein Meisterwerk in der Geschichte des ökonomischen Denkens hinterlassen. Das Problem ist nur, dass sich heutzutage viele Politiker auf Keynes berufen, aber offenbar überhaupt nicht wissen was der Brite eigentlich geschrieben hat. Anders ist die Verwandlung der EU-Führungsspitze von Keynesianern zu Antikeynesianern innerhalb von nur zwei Jahren nicht zu erklären. Die wichtigste Erkenntnis von Keynes war die Beweisführung, dass fallende Preise und fallende Löhne in rezessiven Phasen nicht etwa zu einem neuen wirtschaftlichen Gleichgewicht führen, wie es die Klassiker propagierten, sondern dass fallende Löhne Kräfte erzeugen, die das System weiter in die Tiefe ziehen. Das war auch der Fehler den Reichskanzler Brüning Anfang der 1930er Jahre machte. Er reagierte auf die aufziehende Weltwirtschaftskrise mit einer staatlich verordneten Lohnsenkung. Das Resultat war eine Arbeitlosenquote von über 30%.
Genau so wie Brüning machen es jetzt die europäischen Staatslenker. Vor zwei Jahren haben sie hunderte von Milliarden Euro in den Wirtschaftskreislauf gepumpt, um die aggregierte Nachfrage zu stabilisieren und jetzt praktizieren sie plötzlich genau diejenige Wirtschaftspolitik, die Keynes als großen Fehler zu enttarnen wusste. Die richtige Vorgehensweise wäre folgende: Erstens müssen die Budgets der einzelnen Ministerien nicht gekürzt, sondern auf dem jetzigen Niveau eingefroren werden. Zweitens muss die EZB Staatsanleihen aller europäischer Staaten aufkaufen und ankündigen den Leitzins über längere Zeit bei 1% zu belassen, damit die langfristigen Zinsen nicht aufgrund einer positiven Inflationserwartung nach oben driften. Bei 3% Inflation und 1% realem Wirtschaftswachstum hätte sich das nominale BIP nach 18 Jahren verdoppelt und die Staatshaushalte würden deutliche Überschüsse vorweisen.
Aber seien sie beruhigt, liebe Leser, so dilettantisch die europäische Politik auch sein mag, das Wirtschaftswachstum der Welt wird in China und den USA bestimmt. Der europäische Binnenkonsum wird meiner Einschätzung nach in den nächsten 10 Jahren stagnieren, aber die Exporte werden die Eurozone vor dem totalen Absturz bewahren.
Viel Erfolg wünscht
Simon Betschinger
Quelle: TradeCentre Börsenbrief Kolumne