Neuer EuGH-Vorlagebeschluss als Chance für Verbraucher: Sind Millionen Darlehensverträge widerrufbar? Stellen sich die Richter des EuGHs an die Seite der Verbraucher und bejahen Fehler in den vorgelegten Formulierungen der Pflichtangaben und Widerrufsbelehrungen der Bank, wie es erwartet wird, könnten viele Millionen Verbraucherdarlehensverträge widerrufen und rückabgewickelt werden, auch noch lange nach Verstreichen der gesetzlichen Widerrufsfrist von 14 Tagen. Das Verfahren ist hochbrisant - auf die Banken dürfte aller Wahrscheinlichkeit nach durch die Ausübung des dann greifenden sogenannten "ewigen Widerrufsrechtes" des Verbrauchers eine riesige Widerrufswelle zukommen, denn im Prinzip sind Finanzierungen jeglicher Art von Verbrauchsgütern betroffen: vom Handy, über die Waschmaschine und das Auto bis hin zum Immobilienkredit. Weitreichende Auswirkungen, nicht nur für Autokreditverträge Allgemein lässt sich sagen, dass eine positive Entscheidung des EuGHs den Verbrauchern den vorzeitigen Ausstieg aus einer Finanzierung und damit einen immensen finanziellen Vorteil ermöglichen könnte. Doch weil im Falle des Vorliegens von sogenannten "verbundenen Geschäften" nicht nur die Darlehensverträge selbst widerrufbar wären, sondern auch die damit finanzierten Kaufverträge, werden insbesondere Autokäufer, die ihr über die Hausbank des Autohändlers abgeschlossenes Darlehen widerrufen wollen, massiv profitieren. Denn als Konsequenz wird im Fall des Widerrufes sowohl der Darlehensvertrag als auch der eigentliche Kaufvertrag rückabgewickelt und der Verbraucher erhält sein Geld gegen Rückgabe des Kaufgegenstands zurück. Indem es den Vertrag vorbereitet, die von der Bank bereitgestellten Formulare verwendet und ihn letztlich abschließt, wird das verkaufende Autohaus zum Vermittler des Darlehens. Durch diese Mitwirkung des Verkäufers bewirkt ein Darlehenswiderruf dann auch, dass der Autokäufer nicht mehr an das zu finanzierende Fahrzeug gebunden ist. Das Fahrzeug geht dabei an die Bank, weitere Ratenzahlungen des Kreditnehmers entfallen, die Bank muss alle bereits gezahlten Raten und etwaige Sonderzahlungen zurückzuerstatten und es müssen keine Nutzungsentschädigungen geleistet werden. Allerdings behält die Bank die vertraglich vereinbarten Zinsen. Außerdem finden sich die von der VW Bank in ihren Darlehensverträgen verwendeten Formulierungen in unterschiedlichen Ausformulierungen in nahezu jedem Verbraucherdarlehensvertrag, der zwischen dem 11. Juni 2010 und heute in Deutschland abgeschlossen wurde. Verbraucher sollten sich daher bereits jetzt informieren, wie ein mögliches Vorgehen in ihrem konkreten Fall aussehen könnte. Der zweite Vorlagebeschluss ergänzt inhaltlich die bereits am 7. Januar 2020 gestellten grundlegenden rechtlichen Fragen zur Auslegung des Unionsrechts in Bezug auf das Thema Widerruf von Verbraucherdarlehensverträgen (Az. 2 O 315/19) um genau diesem Themenkomplex und bittet den EuGH um Auslegung. Bisherige Urteile des BGH: Verbraucherunfreundlich Im Rahmen seiner Entscheidungsfindung wird sich nun der EuGH, der als verbraucherfreundlich gilt, auch mit der BGH-Rechtsprechung auseinandersetzen und für Rechtssicherheit sorgen. Entscheiden die Richter am EuGH zugunsten der Kläger, wie zu erwarten ist, wird damit klar, dass der BGH im vergangenen Jahr wohl entgegen den europäischen Vorgaben entschieden hat. Worüber entscheidet der BGH? Die Vorlagefragen Der erste Vorlagebeschluss befasst sich mit den Angaben im Zusammenhang mit dem Verzugszinssatz (Frage 1), der Vorfälligkeitsentschädigung (Frage 2) sowie den Kündigungsrechten (Frage 3): (1) Muss die Bank in den Verträgen den Verzugszinssatz als absolute Zahl angeben, oder zumindest den zugrundeliegenden geltenden Referenzzinssatz als absolute Zahl nennen, damit der Verbraucher tatsächlich selbständig den Verzugszinssatz errechnen kann? Und muss zudem der Mechanismus der Anpassung des Verzugszinssatzes konkret erläutert werden? (2) Muss der konkrete, für den Verbraucher nachvollziehbare Rechenweg zur Ermittlung der bei vorzeitiger Rückzahlung anfallenden Vorfälligkeitsentschädigung angegeben werden, damit der Verbraucher sie selbst berechnen kann? (3) Muss im Kreditvertrag auch auf nationale Kündigungsrechte des Darlehensnehmers aus wichtigem Grund hingewiesen werden und muss auf die jeweils vorgeschriebene Frist und Form der Kündigungserklärung hingewiesen werden? Die ersten drei Fragen des zweiten Vorlagebeschlusses entsprechen weitgehend denen des ersten Vorlagebeschlusses, wobei Frage 3 ergänzt wird durch eine Frage zur Nennung von Sonderkündigungsrechten. Die Fragen 4 und 5 des zweiten Vorlagebeschlusses gehen dann jedoch darüber hinaus und hinterfragen konkret das auf die Rechtsprechung des BGH gestützte Argument der Kreditgeber, der Darlehensnehmer hätte sein Widerrufsrecht verwirkt bzw. rechtsmissbräuchlich ausgeübt: Kann sich der Kreditgeber auf den Einwand der Verwirkung oder des Rechtsmissbrauchs gegenüber der Ausübung des Widerrufsrechts des Verbrauchers auch dann berufen, wenn Pflichtangaben im Vertrag fehlen oder falsch sind und auch nicht nachträglich ordnungsgemäß erteilt wurden (die Bank das also selbst verschuldet hat)? Und greifen die Argumente, seit Vertragsschluss sei bereits geraume Zeit verstrichen, der Vertrag sei bereits vollständig erfüllt worden, Kreditsicherheiten wurden bereits freigegeben bzw. der Kreditgeber hat über die zurückerhaltene Darlehenssumme bereits disponiert, oder der Verbraucher habe den finanzierten Gegenstand ja genutzt und/oder bereits weiterverkauft? Und obwohl der Verbraucher gar nicht wissen konnte, das aufgrund der Fehler der Bank sein Widerrufsrecht nach wie vor fortbestand? Die Beantwortung dieser fundamentalen Fragen wird sehr weitreichende Folgen für nahezu alle Verbraucherkredite haben. Gerade das Thema Vorfälligkeitsentschädigung ist insbesondere für Immobiliarkredite von Verbrauchern höchst relevant, da es sich hierbei um oft sehr große Summen handelt, die die Banken von ihren Kunden fordern. Und die Frage nach Verwirkung und Rechtsmissbräuchlichkeit spielt auch für den Widerspruch bei Lebensversicherungsverträgen eine entscheidende Rolle. Damit dürfte die Auslegung des EuGHs sogar über die Grenzen der Vorgaben für Verbraucherkredite hinausreichen. Verbraucher sollten Chance nutzen und Darlehensvertrag auf Widerrufsmöglichkeit prüfen lassen!
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1004021 23.03.2020