Die Umfrageergebnisse für Donald Trump sind nicht gut. Doch das heißt erst einmal gar nichts. Der deutsch-amerikanische Anwalt Dr. Nick Oberheiden lebt und arbeitet seit Jahren in den USA und erläutert, warum Joe Bidens Sieg nicht nur aufgrund der Anschuldigungen wegen sexueller Belästigung keineswegs feststeht. Entscheidend ist: Präsident wird nicht der Kandidat, der die meisten Stimmen erzielt. Laut Oberheiden sollten Wahlbeobachter diesmal ihren Blick vor allem auf Texas richten. Der Jurist ist überzeugt: Hier fällt diesmal die Entscheidung.
Die Corona-Pandemie hat die USA fest im Griff. Die Nachrichten aus den Staaten sind erschreckend. Doch dass das Jahr 2020 nicht nur das Jahr des Virus, sondern auch ein Jahr der politischen Entscheidung ist, droht zumindest aus europäischer Sicht leicht in Vergessenheit zu geraten. Aber: 2020 ist Wahljahr. Bleibt Donald Trump Präsident der USA oder wird er durch den Urnengang am 3. November von seinem demokratischen Herausforderer Joe Biden abgelöst? Der aus Oberhausen stammende deutsch-amerikanische Anwalt Dr. Nick Oberheiden, der eine der führenden amerikanischen Wirtschaftskanzleien mit Hauptsitz in Dallas leitet, macht deutlich, dass Bidens gegenwärtiger Vorsprung bei den Meinungsumfragen noch lange nicht bedeutet, dass der ehemalige Vizepräsident auch tatsächlich in einem halben Jahr zum Präsidenten gewählt wird. "Umfragen, so nützlich sie auch für ein allgemeines Stimmungsbild sein mögen, verfehlen im Wahlsystem der USA häufig ihre Zielgenauigkeit", so Oberheiden. "Bekanntlich werden Präsidenten in den USA nach einem eigentümlichen Wahlmodus bestimmt. Nicht derjenige wird Präsident, der die meisten Stimmen erzielt, sondern derjenige, der mindestens 270 sogenannter Wahlmänner auf sich vereinen kann." Einer langen Tradition folgend, steht jedem der 50 Bundesstaaten, anteilig nach Größe und Einwohnern, ein bestimmtes Stimmenkontingent zu. Nach dem Prinzip "The winner takes it all" erhält der Kandidat, der in einem Bundesstaat die einfache Mehrheit erzielt, die Stimmen aller diesem Bundesstaat zugeteilten Wahlleute. Dieses System führe laut Oberheiden bisweilen zu obskuren Wahlkampfstrategien. "Weil sich die Präsidentschaftskandidaten beider Parteien des Gewinns bestimmter Bundesstaaten sicher sein können, z.B. gehen Kalifornien und New York traditionell an die Demokraten, während Utah und Tennessee verlässlich den Republikanern die Mehrheit bescheren, fokussiert sich der gesamte Wahlkampf letztlich auf die Bundesstaaten, in denen beide Parteien eine reelle Chance auf einen Sieg haben." Zu diesen sogenannten "Swing States" gehören traditionell beispielsweise Colorado, Pennsylvania oder Virginia. Doch diesmal könnte ein seit einiger Zeit eigentlich fest in republikanischer Hand befindlicher Staat eine entscheidende Rolle spielen: Texas. "Die drei großen Metropolen Dallas, Houston und Austin sind um ein Vielfaches gewachsen und gehören zu den am schnellsten wachsenden Städten der USA", erläutert Nick Oberheiden. Und genau das könnte den Republikanern und Präsident Trump gefährlich werden. "Bei vielen neuen Texanern handelt es sich um akademische Führungskräfte aus Kalifornien und New York und die wählen traditionell demokratisch-liberal. Deswegen brechen in Texas republikanische Krusten auf." Angesichts dieser Entwicklung wittere die Demokratische Partei Morgenluft. "Bei den Halbzeitwahlen von 2018 wurde das Duell um die Senatsposition zwischen Amtsinhaber Ted Cruz und dem demokratischen Neuling Beto O'Rourke völlig unerwartet zu einer dramatischen Zitterpartie. Senator Cruz konnte sich nur denkbar knapp gegen seinen Herausforderer durchsetzen, ein bis dahin nicht für möglich gehaltenes Szenario." O'Rourke gewann dabei die großen Städte, Cruz die eher ländlichen Regionen. Seitdem ist in Texas nichts mehr wie es einmal war. Nick Oberheiden: "Beide Parteien haben Texas zur ultimativen Wahlkampfpriorität erklärt." Und der Jurist betont: "Wer Texas verliert, hat keine Chance, die Wahl zum Präsidenten zu gewinnen." "Texas vergibt ganze 38 der für den Wahlgewinn erforderlichen 270 Wahlleute - eine im landesweiten Vergleich geradezu astronomische Zahl", rechnet Oberheiden vor. "Mit einem Triumph in Texas werden ganze Regionen der USA zur wahlnumerischen Makulatur. Zum Vergleich: selbst wenn ein republikanischer Bewerber Alaska (3 Stimmen), Idaho (4), Utah (6) Montana (3), Wyoming (3), Nord Dakota (3), Süd Dakota (3), Nebraska (4) und Kansas (6) auf sich vereinen kann bzw. ein demokratischer Kandidat Maine (2), New Hampshire (4), Delaware (3), Vermont (3), Washington DC (3), Connecticut (7), Rhode Island (4) und Massachusetts (11) gewinnt, so können diese Siege eine Niederlage in Texas nicht ausgleichen." Weil das so ist, läuft derzeit in beiden politischen Lagern ein beispielloser Spendenmarathon, wobei laut Oberheiden davon auszugehen ist, dass an dessen Ende rund 750 Millionen Dollar in den Lone Star State fließen werden. "Selbst kleinste Ortsvereine in Texas erfreuen sich plötzlich millionenschwerer Zuwendungen aus den Wahlkampfkassen der Bundesparteien. Jede Stimme und jeder Dollar zählen."
|
1054827 26.05.2020